Der Kurvenkenner
Hermann Tilke ist Konstrukteur des Bilster Bergs, von neun der aktuell 20 Formel-1-Strecken und mehr als 65 Rennstrecken weltweit. Im Interview spricht der 61-Jährige über seine Leidenschaft fürs Rennfahren und Lieblingsstrecken.
Herr Tilke, Sie sind gelernter Bauingenieur, planen und bauen aber Rennstrecken, was man eher in der Architektur ansiedeln würde. Wo sehen Sie sich und Ihre Arbeit?
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist es der Architekt, der baut. Rennstrecken erfordern jedoch den Tiefbau mit Straßen sowie Hochbau. Bei uns arbeiten ungefähr genauso viele Architekten wie Bauingenieure. In unserem Büro verschwimmen die Grenzen: Ich mische mich in die Architektur ein, und mein Partner Peter Wahl, der Architekt ist, spricht beim Tiefbau mit.
Sie sind mittlerweile durch eine Vielzahl von Rennstrecken weltweit bekannt. Wie und wann entstand Ihre Verbindung zum Motorsport?
Seit meinem 18. Lebensjahr bin ich Rennen gefahren, die ersten noch mit dem Auto meiner Mutter – sie wusste gar nichts davon. Ich war infiziert von diesem Sport. Nach den ersten Bergrennen kamen verschiedene Serien auf der Rundstrecke. Schließlich bin ich die Tourenwagen-Europameisterschaft und teilweise -Weltmeisterschaft mitgefahren. Später ging es auf die Nordschleife des Nürburgrings. Ich habe mich unter anderem auch deshalb selbständig gemacht, um genügend Zeit zum Fahren zu haben. Parallel habe ich versucht, auch beruflich etwas mit den Strecken zu tun zu haben.
Wie fing das mit dem Streckenbau an?
Mit ganz kleinen Planungsarbeiten, zum Beispiel der Umlegung eines Rettungsweges oder dem Bau einer Boxenmauer. So habe ich einen Fuß in die Tür des Motorsport-Designs bekommen. Irgendwann haben die Leute dann gesagt: „Der Tilke ist ein Experte.“ Dann kamen die ersten zwei Aufträge für ganz neue Rennstrecken: den Sachsenring und den Österreichring, heute Red-Bull-Ring, in Spielberg.
Reicht der Name Tilke mittlerweile aus, um an neue Jobs zu kommen? Oder bewerben Sie sich auch um Projekte, die Sie gerne übernehmen möchten?
Beides. Es kommen Investoren und Betreiber auf uns zu – wir arbeiten ja auch immer wieder an bestehenden Strecken. Darüber hinaus bleiben wir immer selbst dran und kümmern uns um Aufträge oder die Teilnahme an Wettbewerben.
Welche Strecken haben Sie aktuell in Arbeit oder Planung?
Derzeit arbeiten wir an keiner Formel 1-Rennstrecke. Letztes Jahr haben wir allerdings noch am Baku City Circuit in Aserbaidschan gearbeitet, einem Formel 1-Stadtkurs, der direkt durch die aserbaidschanische Altstadt verläuft, also durch UNESCO-Kulturerbe. Aktuell sind wir mit mehreren privaten Rennstrecken beschäftigt, einer größeren in Kuwait – groß im Sinne einer aufwendigen Infrastruktur, die möglicherweise auch mal für die Formel 1 genutzt werden könnte – und mehreren kleinen Kursen in Vancouver, Marokko, China sowie Indonesien.
Wie beginnen Sie, wenn Sie einen Auftrag bekommen?
Zunächst beleuchten wir das Grundstück. Wie ist die Topografie des Geländes, also die räumliche Struktur und die Erdoberfläche? Welche äußeren Verkehrsströme gibt es? Wenn alle relevanten Daten zusammengetragen wurden, beginnen wir die Streckenplanung – und das immer gleich: Mit einem dicken Bleistift malen wir in einem Plan herum und legen zunächst Start und Ziel fest. Wo die liegen, hängt sehr von den dazugehörigen Einrichtungen wie Boxengebäude, Fahrerlager oder Media-Center ab. Danach geht es mit der Planung an den Computer und ins Simulationsprogramm. Manchmal müssen wir dann feststellen, dass Dinge nicht so funktionieren, wie wir uns das vorgestellt haben. Dann müssen wir um- oder neu denken.
Welche Vorgaben gibt es?
Es gibt Sicherheitsvorgaben von der FIA und angedachte Streckenlängen und -abschnitte von den Bauherren oder Investoren. Die möchten eine besonders aufregende Strecke haben oder aber sie müssen ein bestimmtes Budget einhalten. Beides ist eine Herausforderung. Beides ist sehr interessant.
Was waren die Herausforderungen am Bilster Berg?
Der Bilster Berg war für uns ein sehr aufregendes Projekt, weil das Gelände eine so wahnsinnig tolle Topografie aufweist. Der Bilster Berg ist eine einzigartige Strecke im Hinblick auf die Kurvenabfolgen. Wir haben versucht, die natürliche Topografie für den Kurs zu nutzen. Das hat den Job für uns sehr interessant gemacht. Im Endeffekt ist am Bilster Berg so etwas wie ein Natur-Rundkurs entstanden. Die Höhendifferenz auf der Gesamtlänge beträgt 72 Meter, das größte Gefälle 26 Prozent, und die größte Steigung danach 21 Prozent. Insgesamt gibt es über 40 Wannen und Kuppen, sowie neun Rechts- und zehn Linkskurven. Das ist außergewöhnlich.
Wie erleben Sie den Bilster Berg als Fahrer?
Ich habe mich selbst gewundert, wie schwer er zu fahren ist. Die Rennstrecke ist total aufregend.
Wo würden Sie gerne Mal eine Strecke bauen?
Ich würde gerne mal eine Rennstrecke bauen, die durchs Gebirge führt, also durch richtig schroffes Gelände. Oder durch eine Stadt wie New York.
Haben Sie eine Lieblingsstrecke?
Das ist unwahrscheinlich schwer zu sagen, aber von den alten Strecken ist die Nordschleife natürlich einzigartig. Hunderte von Rennen bin ich dort gefahren. Von den neuen Strecken gefällt mir der Bilster Berg eigentlich am besten, weil er eine besondere Herausforderung für die Fahrer ist.
Autor: Nicole Thesen (Zimmermann Editorial)