Auf eine Runde mit… Christian Schultze über Innovationen
Die Automobilindustrie ist eine Branche im Umbruch. Was bewegt die Forschungs- und Designabteilungen? Was sagen unabhängige Experten? In unserer Serie „Auf eine Runde mit…“ lassen wir Insider zu Wort kommen. Diesmal: Dr. Christian Schultze, Director Research & Operations bei Mazda Europe.
Herr Schultze, Sie beschäftigen sich seit 26 Jahren mit Innovationen im Automobilbereich. Gibt es überhaupt noch Neuerungen, die nicht ausprobiert wurden?
Wir müssen unterscheiden zwischen innovativen Ideen und echten Innovationen. Mir hat ein Junge ein Bild geschickt mit einem Elektroauto darauf, das mit Strom aus vielen kleinen Windrädern auf dem Auto angetrieben wird. Das ist natürlich eine sehr schöne Idee und zeugt von Kreativität, aber wir werden sie sicher nie ausprobieren. Wenn wir Innovationen besprechen, dann geht es nicht nur um neu oder anders, sondern um Mehrwert, Verbesserung und dessen Erleben. Speziell in einem starken Wettbewerbsumfeld muss eine Innovation den härtesten Test bestehen, denn der Kunde muss sagen: Toll, das habe ich mir schon immer gewünscht! Daher werden Innovationen nicht nur aus ingeniösen Ideen geboren, sondern hauptsächlich aus harter Arbeit. In unserem Research & Development Center in Oberursel versuchen wir jeden Tag aus dem Ozean der innovativen Ideen eine Perle zu fischen.
Wo fischen Sie denn?
Der Kunde ist natürlich das Maß der Dinge, aber die Ideen kommen nicht nur aus dem Automobilsektor. Mazda’s Kodo Design etwa inspiriert sich an der Anmut und Eleganz der Bewegung von Tieren und des Menschen. Möbel, Yachten und Architektur stehen oft Pate zu Interieurdesign. In der Technik schauen wir weit in andere Domänen: Displays aus dem Flugzeugbau, Kameras aus der Consumer Elektronik, Sensoren aus der Medizin, Bedienlogiken aus Computerspielen – die Liste könnte man lange fortschreiben, und ich habe das Thema Smartphone und Internet noch gar nicht genannt.
Eine Innovation ist dann innovativ …
… wenn dadurch ein echter Quantensprung erlebt wird. Fährt ein neues Modell einfach nur schneller, ist das keine Innovation. Erkennt mein Automobil aber anhand des von mir aufgebrachten Bremsdrucks, den Straßenverhältnissen und der Differenzgeschwindigkeit zu einem vorausfahrenden PKW einen drohenden Unfall und vermeidet diesen selbsttätig, dann ist dies eine Innovation, die der Kunde spürt. Genau so ist es mir ergangen, als ich mit einem ersten Prototypen mit autonomer Notbremsfunktion in Frankfurt unterwegs war. Abbiegekolonne, eine Sekunde zu lange beim Anfahren in die falsche Richtung geschaut – und schon hätte ich den teuren Prototypen gecrashed. Glücklicherweise war unser SCBS-System an Bord und ich konnte die Sinnfälligkeit dieser Innovation erleben.
Von der ersten Idee bis zur Serienreife vergeht wie viel Zeit?
Das kann man leider nicht verallgemeinern. Oft haben die Technik selbst oder ökonomische Randbedingungen darauf großen Einfluss. In manchen Industrien wie der IT oder Consumer Electronic sind die Produktzyklen extrem kurz. Entsprechend schnell müssen neue Ideen umsetzbar sein. Der Automobilbau hat mehrjährige Zyklen, die Entwicklung wird aber immer stärker von externen Faktoren beschleunigt. Im Bereich der Connectivity etwa erwarten die Kunden, dass die Funktionalität im Automobil möglichst nicht hinter der im Smartphone hinterherhinkt. Als Folge müssen sich alle Automobilhersteller mit dem Thema Update und Upgrade nach dem Verkauf eines Fahrzeuges auseinandersetzen.
Mal abseits vom selbstfahrenden und vernetzten Auto: Was kommt als nächstes?
Das Automobil kam aus der mechanischen Welt, ein Ersatz für die von Pferden gezogene Kutsche. Wir haben die Elektrifizierung des Automobils mit Radio, Licht und Einspritzung erlebt und sind nun im softwaregesteuerten Automobilzeitalter angekommen. Der nächste Schritt ist das intelligente Automobil: Es weiß aus spezifischen Indikatoren, wann wir wohin fahren wollen, erkennt unsere Wünsche nach dynamischer Fortbewegung, aber auch wenn wir Fehler machen oder unsere Leistungsfähigkeit nachläßt. Es versteht nicht nur die Verkehrssituation, sondern auch, wie es uns erfreut: indem es uns eine tolle Roadsterroute vorschlägt oder uns an Blumen für den Besuch am Abend erinnert – und diese in Absprache mit uns bestellt. Das Fahrzeug ist nicht nur sicheres Fortbewegungsmittel, sondern unser Buddy, der uns stets hilfreich zur Seite steht. Es ist nicht nur ein Teil unseres Lebensgefühls sondern unseres Lebens selbst.
Woran arbeitet Mazda gerade?
Mazda ist eine Marke, die nicht dogmatisch agiert und Trends einfach folgt. Wir haben oft eigene Ansätze, die aber vielleicht einen besonderen Sinn ergeben. Lokal emissionsfreie Fahrzeuge sind sicher lokal sehr angenehm. Wenn aber dezentral und indirekt dadurch Emissionen in unserem Ökosystem Erde geschehen, dann muss man anfangen, den Gesamteffekt zu beachten. Mazda forscht und entwickelt seit langem an effizienten Motoren, die global betrachtet, also mit allen Emissionen von der Quelle bis zum Rad, immer umweltfreundlicher werden. Wir sehen auch noch viel Potential, den eigentlichen Motor zu verbessern. Darüber hinaus beschäftigen wir uns natürlich damit, wie sich Mobilität in Zukunft entwickeln wird.
Spielen Teststrecken – wie der Bilster Berg – dabei eine Rolle?
Wir alle wissen, dass die Entwicklung der Automobile immer stärker im Computer geschieht. Doch am Ende steht dort ein reales Objekt in voller Komplexität, das noch nie das Licht der realen Welt gesehen hat. Die psycho-technische Erfahrung von gut riechenden Materialien, Sonnenlicht auf der Motorhaube, das Geräusch des beschleunigenden Fahrzeugs und das Singen der Reifen in einer dynamisch gefahrenen Kurve muss man noch als realer Mensch erleben, um zu erkennen, dass ein Automobil und die Fortbewegung emotional positiv anspricht. Dieses Gefühl möchten wir natürlich auch mit der Presse teilen, die unseren Kunden dann von der Freude mit und an dem neuen Mazda berichten soll. Um diese Spannung zu erzeugen und alles richtig präsentieren zu können, brauchen wir Testgelände, auf denen wir in Ruhe Realfahrzeuge erproben und vorstellen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Autor: Michael Aust (Zimmermann Editorial)